Therapieinduzierte Übelkeit und Erbrechen bei onkologischen Patienten ist für die Betroffenen sehr belastend und potenziell lebensbedrohlich. Umso wichtiger ist ein professioneller pflegerischer Umgang mit den Betroffen. Um eine einheitliche und evidenzbasierte Vorgehensweise zu gewährleisten, erstellte eine Projektgruppe des Klinikums Bamberg einen entsprechenden Standard.
Die Projektgruppe besteht aus elf Personen. Bis auf eine Mitarbeiterin, die jedoch auf einer onkologischen Station arbeitet und derzeit ihr Bachelorstudium absolviert, verfügen alle über eine zweijährige onkologische Fachweiterbildung. Zur Erstellung des Standards hatte sich die Projektgruppe intensiv mit den für die Patientengruppe relevanten onkologischen Aspekten beschäftigt sowie eine klare, wissenschaftlich fundierte Problemerfassung und Zielformulierung erstellt.
Der Standard wurde klinikübergreifend eingeführt. Er ist auf allen Stationen bei der Pflege onkologischer Patienten die Chemotherapie oder/und Strahlentherapie erhalten, anzuwenden. Damit dies gewährleistet werden kann, werden alle pflegerischen Mitarbeiter von den ihnen zugehörigen onkologischen Fachpflegepersonen geschult.
Pflegestandard „Pflegerischer Umgang mit therapieinduzierter Übelkeit und Erbrechen bei onkologischen Patienten“ Begrifflichkeiten
Übelkeit: Subjektive Empfindung von Unwohlsein in Rachen- und/oder Magengegend, Neigung zum Erbrechen. Übelkeit kann einhergehen mit Schwitzen, Speichelfluss, Blässe und Tachykardie.
Erbrechen: Kräftiger Auswurf von Mageninhalt aus dem Mund, „Trockenerbrechen“ ist Würgen/Brechakt ohne Auswurf von Mageninhalt.
Antizipatorische Übelkeit und Erbrechen: Unwohlsein oder Erbrechen Stunden bis Tage vor oder in Erwartung einer Chemotherapie aufgrund einer Konditionierung durch vorausgegangene, oft unangenehme Erfahrung.
Verzögertes Auftreten von Übelkeit und Erbrechen: Übelkeit und Erbrechen, die 24 Stunden nach Chemotherapie oder später beginnen und/oder länger als 24 Stunden dauern.
Refraktäre Übelkeit/Erbrechen: Übelkeit und Erbrechen trotz optimaler antiemetischer Therapie.
Komplikationen von therapieinduzierter Übelkeit und Erbrechen
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts: Dehydratation/Exsikkose, Hypochlorämie und/oder Alkalose durch Verlust von Magensäure, Gewichtsverlust
Risse und Blutungen in der Schleimhaut von Ösophagus und Magen (Mallory-Weiss-Syndrom).
Verweigerung einer möglichen kurativen Chemotherapie
Konditionierung auf weiteres (antizipatorisches) Erbrechen
Assessment
Die einheitliche Erfassung des Schweregrads von Übelkeit und Erbrechen ist zwingend notwendig. Im Klinikum Bamberg erfolgt die Erfassung der Schweregrade von Übelkeit und Erbrechen anhand des Instruments „Common Terminology Critera for Adverse Events“ (CTCAE, siehe Tab. unten).
Nicht-pharmakologische Interventionen
Akupressur: Die therapeutische Technik, digitalen Druck anzuwenden oder ein Akupressurarmband an spezifischen Punkten des Körpers anzubringen. Durch die Anwendung von Druck auf einen oder mehrere verschiedene Akkupressurpunkte des Körpers, kann der Therapeut die Balancen des Körpers regulieren und den Energiefluss positiv stimulieren. Der Akkupunkturpunkt, welcher am meisten Verwendung findet, ist P6.
Akupunktur: Schmerzstillung und Veränderung der Körperfunktionen durch das Einführen feiner Nadeln (Durchmesser einer Haarsträhne) entlang der spezifischen Meridiane des Körpers. Das Einführen der Nadeln kann als unangenehm empfunden werden. Die Nadeln sind gedreht, elektrisch geladen oder erwärmt und werden 20 bis 30 Minuten an den Stellen des Körpers belassen. Der Akkupunkturpunkt P6 wird für die Behandlung von Übelkeit verwendet.
Geführte Imagination: Das Bilden einer entspannenden, angenehmen mentalen Vorstellung – oft begleitet durch Musik oder Entspannungstechniken.
Musiktherapie: Die Anwendung von Musik zur Beeinflussung der physischen, psychischen und emotionalen Funktionen des Körpers während der Chemotherapie. Wird oft mit anderen Verhaltenstechniken und Entspannungsmethoden verbunden.
Progressive Muskelentspannung: Fokussieren von einzelnen verschiedenen Muskelgruppen des Körpers, die zunehmend auf und ab, angespannt und entspannt werden, um einen tiefen Entspannungszustand herbeizuführen.
Psychoedukation: Beratung, Schulung, Unterstützung und strukturierte schulende Interventionen zur Förderung des Selbstmanagement der Patienten.
Pflegerische Maßnahmen
Vor Therapiebeginn:
Überprüfung und Sicherstellen einer adäquaten ärztlichen Verordnung für die Antiemetika und passend zur erwarteten emetogenen Wirkung der Therapie und individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse und Vorerfahrungen des Patienten.
Information des Patienten, dass Kräuterpräparate, zum Beispiel Johanniskraut, die Wirkung der Tumortherapie beeinflussen sowie zusätzliche unerwünschte Wirkungen hervorrufen können. Sie werden deswegen nicht empfohlen.
Alle vom Patienten zusätzlich aufgenommenen Präparate müssen mit dem zuständigen Onkologen abgeklärt werden.
Entlassungsplanung:
Sind Rezepte für die Reserve-Antimetika ausgestellt? Ist eine Versorgung mit Medikamenten sichergestellt (Öffnungszeiten der Apotheke)? Ansonsten ggf. Mitgabe der Medikamente.
Während der Therapie:
Rasche und fachgerechte Verabreichung der verordneten Medikation/Reservemedikation – bei bereits vorhandener Übelkeit und Erbrechen – keine orale Verabreichung der Medikamente; dies wird die Übelkeit meist nur verstärken!
Bei refraktärer Übelkeit/Erbrechen:
Absprache mit dem Arzt bzgl. Wechsel der antiemetischen Therapie
Evtl. (nach ärztlicher Anordnung) Verabreichung eines Beruhigungs- oder Schlafmittels am Vorabend der geplanten Therapie – dies hat sich besonders bei antizipatorischer Übelkeit und Erbrechen bewährt.
Quellen als unangenehm empfundener Gerüche suchen und nach Möglichkeit entfernen (Parfum, Blumen, Essen usw.).
Zimmertemperatur regulieren, kühlere Temperatur wird meist als angenehm empfunden.
Bei einem metallisch/sauren Geschmack (zum Beispiel während der Verabreichung von Cyclophosphamid, Bleomycin) evtl. Pastillen mit starkem Geschmack (Pfefferminz) offerieren.
Nach Erbrechen Mundspülungen/-pflege anbieten; Zahnprothesen reinigen und/oder entfernen.
Schmerzen und/oder Luftnot lindern. Beides kann bei Würgen Erbrechen auslösen oder intensivieren, zum Beispiel bei Rippenmetastasen.
In Reichweite (aber nicht in Sichtweite) genügend Gefäße für Erbrochenes bereitstellen, Gefäße rasch entsorgen/entleeren. Häufig kommen Patienten mit kleinen Gefäßen wie Nierenschalen etc. nicht zurecht, ggf. größere Gefäße anbieten.
Intimsphäre wahren.
Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten (die Urinmenge sollte einen Liter nicht unterschreiten) – Ein- und Ausfuhrprotokoll führen.
Bei der Menübestellung darauf achten, dass während der Therapie fünf bis sechs kleine Mahlzeiten meist besser verträglich sind als drei große Mahlzeiten.
Wunschkost ermöglichen, gerne durch von den Angehörigen gekochte/mitgebrachte Speisen (Anforderungen keimfreier Kost beachten).
Ernährungsempfehlungen:
Langsam essen, mehrere kleine Mahlzeiten täglich
Vermeiden von sehr fettem, würzigem oder süßem Essen
Kalte oder warme Getränke zum Essen trinken, denn heiße Getränke fördern Übelkeit
Vermeiden von Flüssigkeitsaufnahme während des Essens
Nahrung verwenden, die gut verträglich und wenig geruchsintensiv ist
Trockene Nahrungsmittel wie Toast, Kekse und Müsli bevorzugen
Essen, bevor man hungrig wird, denn Hunger steigert Übelkeit
Nicht in die Küche gehen, wenn das Essen vorbereitet wird
Einnahme der Mahlzeiten in einer ruhigen, angenehmen Umgebung, die mit frischer Luft belüftet ist Projekt bewirkte Sensibilisierung
Bisher kann festgestellt werden, dass die Problematik der therapieinduzierten Übelkeit und Erbrechen bei onkologischen Patienten, die möglichen Komplikationen und vor allem die anwendbaren evidenzbasierten Maßnahmen noch deutlicher ins Bewusstsein der Pflegenden und in den Pflegeprozess aufgenommen wurden.